Unterstufe (Klasse 1 - 4) und Mittelstufe (Klasse 5 - 8) sind Klassenlehrerzeit. Eine Klassenlehrerin bzw. ein Klassenlehrer führt die Kinder in der Regel durch die ersten 8 Schuljahre. Dieser konstante Bezug zu einer Person ist ein wichtiges Grundprinzip in der Waldorfschule, denn die Welt erschließt sich dem Schulkind in den ersten Jahren über die liebevolle Beziehung zu seinem Lehrer oder seiner Lehrerin. Die zunehmend veränderlichen Familienstrukturen unserer heutigen Gesellschaft führen dazu, dass Kinder und Jugendliche Bezugspersonen brauchen, die sich ihnen konstant widmen.
Die Klassenlehrerinnen und -lehrer bilden diese Konstante. Sie nehmen das Kind in seiner Besonderheit wahr und begleiten seine Entwicklung.
Jeder Schultag beginnt mit dem Epochenunterricht (Hauptunterricht). Hier unterrichten die Klassenlehrer die verschiedenen Fächer in drei- bis vierwöchigen Epochen, eingebettet in Rhythmus und Musik, in Sprachspiele und Gedichte, in Gespräch und Erzählung.
Da jedes Kind in seinem Klassenverband verbleibt, besteht in den Klassen eine große Spannbreite bezüglich der Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler. Im gemeinsamen Lernen erwerben die Schüler*innen weitere Fähigkeiten durch die Entwicklung ihrer sozialen Kompetenzen, durch die Schulung ihrer Wahrnehmungsfähigkeit, durch das Einüben von Teamarbeit und selbständigem Lernen. Dies alles ist Teil der Persönlichkeitsentwicklung.
Auch der Zeugnisspruch, der Bestandteil eines jeden Textzeugnisses der Unter- und Mittelstufe ist, soll diese Entwicklung fördern. Er ist so gewählt, dass er das Kind „abholt“, seine Stärken aufgreift, ihm Wachstumswege andeutet. Der Zeugnisspruch begleitet das Kind ein Jahr lang.
Unabhängig vom Fach, gliedert sich der Epochenunterricht in den ersten zwei Stunden in drei Teile: Rhythmischer Teil, Lernteil des Faches, Erzählteil.
Der Rhythmische Teil ist gefüllt mit Liedern, kindgerechten Sprüchen und Spielen, Fingerübungen für die Geschicklichkeit und vielem mehr.
Bei der Arbeit legen wir Wert auf körperliche und vorstellende Bewegung beim Kind. So erleben die Kinder den Rhythmus eines Spruches nicht durch das Sprechen darüber, sondern durch das Tun. Beim Klatschen, Laufen, Springen wird ein Rhythmus in unterschiedlicher Weise wirklich erlebt und dadurch erfahrbar.
Der Inhalt eines Gedichtes oder Spruches wird so gewählt, dass das Kind über die bildhafte Sprache die geschilderten Tiere, Pflanzen, Menschen oder andere interessante Dinge zu einem inneren Bild, einer Vorstellung kommt. Die gesunde Kinderseele schlüpft gerne in ein solches selbst gemaltes Bild, und füllt die Wesen mit Leben. Dies unterstützen wir durch passende Bewegungen, durch die das Kind zu einer noch innigeren Beziehung zu seinen Vorstellungen findet. Man kann sagen, der Inhalt der Gedichte und Sprüche wird mehr oder weniger nachgespielt, nachempfunden.
Sowohl durch dieses Nachempfinden, was eine stark fühlende Qualität hat, als auch durch die Vorstellung, die eine mehr denkende Qualität aufweist (wir denken doch oft in Bildern) und die Bewegung, die mehr Willensqualität hat, wird das Kind in seinem ganzen Wesen angesprochen.
Das bedeutet, dass das Kind seine Seele ganzheitlich, also in allen Seelenfähigkeiten erlebt und so in eine innere Ausgeglichenheit geführt wird. Und eben diese schafft erst die Voraussetzung, um intellektuell lernen zu können. Nach einem gelungenen rhythmischen Teil können wir oft feststellen, dass viele Kinder gerötete Wangen, warme Hände und einen ruhigen, tiefen Atem haben.
Das Ansprechen aller drei Seelenkräfte, also des Wollens, Fühlens und Denkens ist auch im so genannten Lernteil des jeweiligen Faches zu entdecken. Doch hier geht es jetzt mehr darum, in feinere Bewegungen zu kommen. Das Nachbilden von Formen, das Umsetzen von Schrift, das Wiedererkennen im Lesen und das vielfältige Erleben der Zahlenwelt erfordert viel Konzentration in der Wahrnehmung, Umsetzung auf dem Papier und im denkerischen Erfassen und Verstehen. Dieser Teil ist für die junge Kinderseele anspruchsvoller und anstrengender als wir oft meinen.